Mehr als eine Nestkantengeschichte

25. Jul 2022

von Diana Johanns

Im New Yorker Central Park Zoo verlieben sich Ende der 90er Jahre zwei Pinguine ineinander, adoptieren ein Ei und beflügelten damit eines der liebenswertesten Skandalbücher, das Amerikas Kinder je vorgelesen bekamen. Die goldigste Provokation ever!

Die Geschichte, die diesem Bilderbuch zu Grunde liegt, ist wahr. Roy und Silo, zwei Pinguinmännchen aus dem New Yorker Central Park Zoo, waren seit frühster Jugend miteinander befreundet. Innig befreundet. So sehr, dass kein Weibchen Platz in ihren Herzen fand. Schließlich bauten die beiden gemeinsam ein Nest und versuchten, einen Stein auszubrüten - sehr ausdauernd und natürlich vergeblich. Schließlich erbarmte sich ein Tierpfleger und schob den beiden ein verwaistes Pinguinei unter. Nach 34 Tagen schlüpfte ihre Tochter Tango, die von den beiden Vätern aufgezogen wurde.

Aufgeschrieben wurde die Geschichte 2005 von Justin Richardson und seinem Partner, Peter Parnell. Im Grunde eine Traumbesetzung für die Umsetzung dieses Plots, denn Parnell ist Dramatiker und Richardson ein amerikanischer Autor und Psychiater, der sich mit der sexuellen Entwicklung von Kindern beschäftigt. Im Jahr 2003 hatte er gemeinsam mit dem Kinderarzt Mark Schuster den Ratgeber Everything You Never Wanted Your Kids to Know About Sex (But Were Afraid They'd Ask) veröffentlicht, der Eltern dabei half, ihre Kinder ehrlich und fundiert aufzuklären. Nach Erscheinen des Buchs war Richardson ein gern gesehener Gast in TV-Shows und Zeitungsredaktionen.

So wohlwollend das Buch aufgenommen wurde und Richardsons Position als Experte fundierte, die Auswirkungen des Bilderbuches And Tango Makes Three waren deutlich größer.

Justin Richardson, Peter Parnell und Henry Cole: And Tango makes three. Simon & Schuster / Signatur: 53 BA 6534
Justin Richardson, Peter Parnell und Henry Cole: And Tango makes three. Simon & Schuster / Signatur: 53 BA 6534

Dabei begann es ganz harmlos: Kritiker und Fachleute empfahlen die Lektüre, um Kindern andere Familienmodelle näher zu bringen, und um das Selbstbewusstsein von Kindern, die nicht in konventionellen Familien aufwuchsen, zu stärken. Die Pinguine galten als knuddelige und harmlose Sympathieträger, die eine rührende und wahre Adoptionsgeschichte in die Herzen aller Leser transportierten. Als Illustrator war Henry Cole gewonnen worden. Der Künstler arbeitete häufig mit der Autorin Pamela Duncan Edwards zusammen, gemeinsam schufen sie unter anderem das sehr erfolgreiche Bilderbuch: Honk!, die Geschichte einer Prima-Schwanerina. In And Tango Makes Three verzichtete Cole auf seinen üblichen bunten und comichaften Stil. Die Kritik lobte, dass seine Bilder sich stark an der Natur orientierten und damit die Geschichte perfekt ergänzten. Cole, der selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen war und viele Jahre an einer Grundschule Naturwissenschaften unterrichtet hatte, sorgte mit seiner Kunst dafür, dass die Geschichte als realistisch wahrgenommen wurde. Das Buch erhielt einige sehr renommierte Preise, wurde zum Bestseller und – fünf Jahre in Folge zu einem der am meisten verbotenen Bücher in öffentlichen Bibliotheken und Schulen in ganz Amerika.

Denn Stimmen waren laut geworden, die meinten, das Buch würde Homosexualität befürworten. Besorgte Eltern verlangten, dass Kinder eine Erlaubnis vorzulegen hätten, bevor sie sich das Buch aus der Bibliothek entleihen dürften. In einigen Bibliotheken wurde das Buch von der Kinderbuchabteilung in die Sachbuchabteilung der Erwachsenen umgestellt, in einer Bücherei konnte das Buch sogar generell nur von Eltern und Lehrern eingesehen werden. Häufig wurde die grundsätzliche Entfernung aus dem Bibliotheksbestand gefordert.

Doch der Streit, wie gefährlich dieses Buch und die Pinguine für die christliche Moral sei, tobte nicht nur in den Buchregalen, sondern auch zwischen konservativen und queeren Aktivisten und Organisationen. Denn es kam noch ärger: Tango, das Adoptivkind in dieser Regenbogenfamilie, paarte sich mit einer Pinguindame namens Tanuzi!

Und so war die Erleichterung in bestimmten Kreisen doch sehr groß, als Roy und Silo sich trennten, und Silo sich einem Pinguinweibchen zuwandte.

Es ist egal, wie die Liebesgeschichte von Silo und Roy endete, sie inspirierte nicht nur Justin Richardson, Peter Parnell und Henry Cole, die beiden Pinguine waren auch die Protagonisten in einem Theaterstück, in einem Ballett und einem Bilderbuch von Edith Schreiber-Wicke und Carola Holland. Deren Umsetzung des Stoffes erschien 2006 unter dem Titel Zwei Papas für Tango und wurde von Anfang an geliebt, schnell vergriffen und nie verboten.

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