06. Nov 2020
Berlin investiert in Luftreinigungsgeräte für Schulen. 4,5 Millionen Euro stehen bereit für Technik, die Aerosole aus der Luft filtern soll. Der Bedarf ist jedoch viel größer. Eine Rechnung.
Der Berliner Senat will rund 1200 mobile Luftreinigungsgeräte
anschaffen „für Schulen, deren Klassenzimmer aufgrund der baulichen
Situation erschwert belüftet werden können“, wie es in einer Mitteilung
heißt. Diese Geräte könnten in Räumen ohne ausreichende
Lüftungsmöglichkeiten „die Infektionsgefahr durch Aerosole für
Beschäftigte, Schülerinnen und Schüler und damit eine weitere
Ausbreitung von Covid-19 stark verringern.“
An drei Schulen haben nach Angaben der Verwaltung mehrwöchige Tests mit Luftreinigungsgeräten stattgefunden. Die Resonanz an den Schulen selbst sei positiv gewesen. Auch die Berliner Charité habe sich mit den Geräten befasst und Empfehlungen gegeben.
Die Klassenfrequenz über alle Klassenarten, inklusive Willkommensklassen und sonderpädagogische Kleinklassen, an den öffentlichen Schulen lag laut Berliner Bildungsstatistik im Schuljahr 2019/20 bei 22,2. Bei insgesamt 325.525 Schülern ergeben sich rechnerisch 14.663 Klassen bzw. Lerngruppen an den allgemeinbildenden Schulen. Jede Klasse braucht einen eigenen Raum.
Dazu kommen 55 öffentliche berufliche Schulen mit 87326 Schülern in 3338 Klassen. Davon ausgehend, dass nur etwa ein Drittel aller Klassen an den Berufsschulen in Vollzeit anwesend ist und die anderen zwei Drittel nur etwa die Hälfte (weil sie auch in ihren Betrieben ausgebildet werden), ergibt sich ein Raumbedarf von 1669 Klassenzimmern.
Dazu kommen Teilungs- Hort- und Fachräume sowie Personalräume. Der Einfachheit halber nehmen wir an, dass pro Schule 10 Unterrichts- und Freizeiträume (inklusive Bibliothek, Küchen, Therapieräume etc.) sowie 5 Personalräume (inklusive Sekretariat, Schulleitung und Beratungsräume) dazukommen. Für die 635 allgemeinbildenden Schulen und die 55 beruflichen Schulen macht das insgesamt 10.350 Räume.
Die Summe für die Klassenräume und die anderen hoch frequentierten Räume an den öffentlichen Berliner Schulen beträgt demnach insgesamt, Pi mal Daumen und konservativ geschätzt, 26.682 Räume. 1200 Luftfilter verteilen sich auf 4,45% der Klassenzimmer und weiterer Räume mit erheblicher Auslastung. Nur knapp jeder 20. dieser Räume kann also mit einer technischen Unterstützung zur Luftreinhaltung bestückt werden. Je nach Modell und Raumgröße können auch mehrere Luftreinigungsgeräte nötig sein. Der Anteil derjenigen, die von der Investition profitieren können, sinkt dann noch mehr.
Priorität haben Räume, in denen eine
Lüftung durch einfaches Öffnen der Fenster nicht möglich ist. Weil diese
entweder kaputt sind oder sich nicht komplett öffnen lassen. Manchmal
werden auch Räume genutzt, die für den Unterricht gar nicht vorgesehen
waren, aber aktuell aus Platzgründen in Gebrauch genommen wurden. Hier
ist in der Regel schon bei der Planung die Belichtung und ausreichende
Belüftung gar nicht vorgesehen gewesen.
In
diesem ersten Schritt geht es also um bauliche Gegebenheiten - nicht um
Kinder und Erwachsene aus Risikogruppen, die besonders geschützt werden
müssen. Wieviele das sind, ist der Senatsverwaltung nicht bekannt, wie
aus einer Anfrage der Grünen-Abgeordneten Burkert-Eulitz
hervorgeht. Insgesamt nehmen 450 Schüler auf Antrag am „schulisch
angeleiteten Lernen zuhause“ teil. Auffällig ist der
Ost-West-Unterschied. In den östlichen Bezirken lernen weniger Kinder
zuhause als im Westen: In Lichtenberg sind es 8, in Neukölln 67.
Außerdem nehmen 194 Schüler aus Risikogruppen am Unterricht in Kleingruppen teil.
Rund 30 % der Berliner Lehrer sind älter als 55 Jahre, etwa 10.000 potentielle Risiko-Patienten. Viele fürchten sich vor einem schweren Verlauf im Falle einer Corona-Infektion. Sie schützen sich derzeit mit Hygiene, Alltagsmasken und vor allem Lüften. Damit Letzteres auch ordnungsgemäß vonstatten geht, hat der Senat 3.500 CO2-Messgeräte zugesagt, damit die Lehrer und Schüler „das optimale Lüftungsmanagement trainieren können“.
Und die Jüngsten? Die Bildungsverwaltung hat
im September bei den Kita-Trägern erfragt, wie viele Kinder aufgrund
eigener Risikofaktoren oder Risikofaktoren innerhalb der Familie nicht
betreut werden können. Das Ergebnis: 0,3 Prozent, rund 500 Kinder, sind
betroffen.
Wäre hier eine Unterstützung durch Luftfilter angebracht,
damit diesen Kindern ihr Recht auf Bildung garantiert werden kann? Noch
ist das nicht vorgesehen. Die Kitas mit ihren rund 2.600 Einrichtungen,
39.000 Mitarbeitern und 160000 Kita-Kindern werden in diesem ersten
Schritt nicht berücksichtigt.
Der Bedarf an technischen Geräten zur Luftreinigung ist also viel höher als die 1200 Geräte, die derzeit vorgesehen sind.
Dazu
kann die Verwaltung derzeit keine Angaben machen. Es fänden noch
"finale Gespräche" statt, so ein Sprecher. Wichtig sei, "dass das Geld
da ist".
Unbeantwortet blieb unsere Frage nach dem Stand des
Verfahrens, das in mehreren Stufen abläuft: Mittelbereitstellung -
Ausschreibung - Vergabe - Lieferung. Da der Senat die Gelder erst
freigegeben hat, steht alles auf Anfang. Es könnte also sein, dass die
Luftreiniger erst im nächsten Jahr in den Klassenzimmern zum Einsatz
kommen.
Unsicherheiten könnten sein: Zum einen eine zu geringe Zahl
von Anbietern. Der Markt ist überschaubar und mehrere Bundesländer haben
sich für den Einsatz von Luftreinigern an Schulen entschieden.
Produktionsengpässe oder starke Preissteigerungen sind bei einer hohen
Nachfrage nicht ungewöhnlich. Das würde den Prozess zusätzlich
verlangsamen.
Nachtrag: Gerade hat die
Verwaltung die Bereitstellung von "bis zu 480.000
Mund-Nasen-Schutzmasken" und 8.500 Liter Desinfektionsmitteln
angekündigt. Wir überschlagen - macht pro Person in den Schulen: eine
Maske.
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