Kita-Navigator: Eltern als Controller

12. Nov 2019

Daniela von Treuenfels
Kita-Navigator: Eltern als Controller

Da ist es nun, das Anmeldesystem für die Berliner Kitas. Der Navigator soll alles unkomplizierter, geschmeidiger, komfortabler, transparenter machen. Was in der Theorie gut klingt, ist teilweise nicht zu Ende gedacht.

Zunächst: Die Bildungsverwaltung hat Lob verdient. Seit Anfang November ist, einige Monate später als geplant, ein neues Kita-Anmeldesystem online gegangen. Der „Kita-Navigator“ ist eine Art Suchmaschine für Kitaplätze öffentlich geförderter Einrichtungen in ganz Berlin (private Kitas sind hier nicht verzeichnet). Die Internetseite ist modern gestaltet, intuitiv bedienbar, selbsterklärend und gut strukturiert.

Was gut ist

Wer sie ansteuert, wird zunächst mit einem freundlichen „Auf die Plätze, Kita, los!“ begrüßt, mit dem nächsten Klick folgt eine Eingabemaske für eine Adresse. In der Regel geben Eltern die eigene Wohnadresse an, das kann aber auch beispielsweise der Standort des Arbeitgebers oder der Wohnort der Großeltern sein. Mit der Umkreissuche lässt sich die gewünschte maximale Entfernung zur Kita einstellen.

Wer schon konkrete Wünsche hinsichtlich Öffnungszeiten, pädagogischem Konzept, bestimmten Schwerpunkten oder Mehrsprachigkeit hat, kann eine Vorauswahl mit der erweiterten Suchfunktion treffen.
Der nächste Klick liefert die Übersichten der Kitas im Umkreis: in Kachelform, als Liste oder als Kartenansicht. Die Suche lässt sich bequem anpassen, der Radius einfach ändern.

Wer jetzt die weiteren Funktionen des Kita-Navigators nutzen möchte, braucht ein Service-Konto. Dieses Konto ist leicht zu erstellen (Name, Mailadresse, Passwort) und ist auch notwendig um Services anderer Behörden im Land Berlin nutzen zu können. Nun lassen sich Merklisten erstellen, Kitas kontaktieren und Platzanfragen stellen. Ein Status-Feld gibt den Überblick über den Stand der Dinge: Gesprächstermine, Vormerkungen und Stand der Anfrage.

Digital affine Menschen werden hier kein Problem haben. Wer nicht auf Anhieb zurechtkommt, findet zu allen Schritten auf den Seiten der Bildungsverwaltung Erklärvideos und eine Bedienanleitung. Von Montag bis Freitag (9 bis 15 Uhr) steht auch das Service Center des ITDZ zur Verfügung.

Was fehlt

Das Angebot richtet sich an deutschsprachige Menschen mit mindestens durchschnittlichen intellektuellen Fähigkeiten. Englisch, türkisch, arabisch, russisch… - Fehlanzeige. Die Seiten sind auch nur eingeschränkt barrierefrei. Es fehlen Texte in leichter Sprache und die Möglichkeit, sich Informationen vorlesen zu lassen. Ein Teil der Zielgruppe wird also den Kita-Navigator nicht nutzen können. Aber was dann? An wen wenden sich Menschen, die mit der Online-Anmeldung nicht zurechtkommen? Hinweise auf „analoge“ Anlaufstellen sind nicht vorhanden.

Es ist nicht schwer sich auszumalen was geschieht, wenn die einen Eltern sich frustriert abwenden, wenn sie veraltete Inhalte vorfinden und die anderen lieber gleich den direkten Weg in die Kita suchen um dort wie bisher üblich einen Betreuungsplatzlatz für ihr Kind zu reservieren.

Zwei Jahre hat die Entwicklung des neuen Anmeldesystems gedauert, eine halbe Million Euro hat es gekostet, exklusive einer nicht näher benannten Summe für die Einbindung in die IT-Struktur des Landes Berlin. Man betrete Neuland, sagte der verantwortliche Abteilungsleiter Holger Schulze bei der Vorstellung des Kita-Navigators vor Journalisten Anfang November. Bisher seien Kita-Träger und Jugendämter die Kunden gewesen, jetzt sei die breite Öffentlichkeit mit tausenden Eltern „die wichtigste Zielgruppe“.

Ein „Meilenstein“ sei die neue Plattform, die „technisch weitgehend fertig“ sei. Es werde jedoch eine Zeit dauern bis das System funktioniere, so Schulze weiter. Entscheidend dafür ist die Aktualität der Daten, die von den einzelnen Kitas selbst gepflegt werden und auf dem neuesten Stand gehalten werden müssen. Das Ganze sei ein „Organisationsentwicklungsprozess“.

Was noch fehlt

Das Schwierige daran ist: Eltern sind – ungefragt, unbewusst und ohne wirksame Instrumente - Akteure des Veränderungsprozesses. Die Aufgabe, die den Müttern und Vätern bei der Nutzung des Kita-Navigators zugedacht wird, ist, die Funktionalität des Systems zu prüfen und die Zuständigen über Probleme zu informieren - klassische Controllingaufgaben. Das Dumme ist nur: „Die Eltern haben bisher keine Ansprechperson, an die sie sich wenden könnten, wenn sie Hilfe benötigen“, sagt Corinna Balkow, Vorsitzende des Landeselternausschusses Kita.

"Einige Eltern konnten das System vorab sehen und Anregungen einbringen", so Corinna Balkow. „Wir freuen uns, dass wir zu Verbesserungen beitragen können". Dies komme jedoch zusätzlich zu schwierigen Situationen in der Kita. „Die Eltern haben bisher nur die Kitaaufsicht bei schwerwiegenden Fällen als Ansprechperson. Was fehlt, ist zusätzliche Unterstützung bei Fragen zur Regelung der Elternvertretung, Zuzahlungen, Personalfluktuation oder Kommunikationsschwierigkeiten. "All diese Aufgaben sind von uns nicht ehrenamtlich zu leisten", so Corinna Balkow.

Elternbeschwerden als Teil des Qualitätsmanagements zu betrachten ist im Schulbereich weitgehend etabliert, wenn auch unzureichend: Scheeres‘ Vorgänger Jürgen Zöllner richtete eine Beschwerdestelle ein, zudem holte er die damalige Elternvertreterin Ruby Mattig-Krone als „Qualitätsbeauftragte“ in die Verwaltung. Beide sind wichtige Schnittstellen nach „draußen“: hier auflaufende Beschwerden zeigen der Spitze des Hauses wo es Verbesserungsbedarf gibt.

Eltern sollten wissen wer für ihre jeweiligen Fälle die richtigen Ansprechpartner sind und wie sie Probleme vor Ort selbst lösen können. Die Bildungsverwaltung hat daher Fortbildungen für Elternsprecher verstärkt, seit einigen Jahren sind qualifizierte „Elternfortbildner“ im Einsatz, die auf Anfrage in Schulen gehen und dort ihr Wissen rund um Schulgesetz und Gremienarbeit weitergeben. Berliner Elternvertreter sind ehrenamtlich unterwegs, unterstützende hauptamtliche Strukturen gibt es zum Leidwesen der Engagierten bislang nicht.

Das Kitasystem kennt ein Beschwerdesystem bisher nicht. Die Elternvertretungen sind hier auch weniger stark aufgestellt als in den Schulen. Das liegt zum einen daran, dass frühkindliche Bildung – auch bei Eltern – nicht den Stellenwert genießt wie der Schulunterricht. Zum anderen steht in den jungen Familien eher die Vereinbarkeit mit dem Beruf im Vordergrund. Job und ein kleines Kind unter einen Hut zu bringen ist ein kräftezehrender Balanceakt, der wenig Raum für Engagement lässt.

Auf der anderen Seite sind die Kitas Teil des Veränderungsprozesses. Ein fehlendes Beschwerdemanagement für Eltern macht es ihnen leicht, sich der eher ungeliebten Neuerung zu entziehen. „Die stärkere Steuerung stößt nicht bei allen Trägern auf Gegenliebe“, bekannte Senatorin Sandra Scheeres bei der Präsentation der Plattform. Fragen nach möglichen Sanktionen für Kitas, die das System mit veralteten Daten unbrauchbar machen, wich sie allerdings aus.

Was kommen müsste – aber fehlt

Es wäre spannend zu erfahren, wie Eltern und Kitas das neue Online-Verfahren nutzen und auf welche Herausforderungen sie stoßen. Welche Hilfestellungen sind nützlich, was fehlt? Gibt es regionale Unterschiede in der Nutzung des Kita-Navigators? Welche Einrichtungen pflegen ihre Daten vorbildlich, welche agieren, nun ja, eher zurückhaltend? Und warum? Welche Kitas erhalten besonders viele Anfragen, welche eher weniger? Woran liegt das?

Doch das Erkenntnisinteresse hält sich in Grenzen. „Evaluation steht erst einmal nicht im Vordergrund“, so Sandra Scheeres. Das passt zur insgesamt schwach aufgestellten Qualitätssicherung und klingt nach einem Kapitel aus dem Ratgeber „Schöner Scheitern“. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

kita-navigator.berlin.de

Erklärvideos www.berlin.de/sen/kita-navigator

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