Schulsanierung: Gymnasium am Europasportpark wird zum „Sonderfall“

15. Nov 2022

Daniela von Treuenfels
Schulsanierung: Gymnasium am Europasportpark wird zum „Sonderfall“

Mit ihrem Protest hat die Schulgemeinschaft des Gymnasiums am Europasportpark die Einhaltung des Sanierungsversprechens erreicht und einen Präzendezfall geschaffen.

Es war ein fröhlicher Protest am vergangenen Freitag vor dem Roten Rathaus: Rund 200 Demonstrantinnen und Demonstranten hatten sich rufend, pfeifend und singend vor dem Amtssitz der Regierenden eingefunden, um die Sanierung des maroden Schulgebäudes zu erreichen. Der Erfolg war zum Greifen nah, der Optimismus entsprechend groß.

Denn kurz nach der Ankündigung des Protestzuges hatte Franziska Giffey zum Gespräch gebeten: Eine „Lösung“ sollte gefunden werden. Oder besser: Eltern, Lehrer und Schüler sollten sagen, ob sie sich mit dem Vorschlag des Senates anfreunden können. Die nickten zustimmend, und heraus kam eine „Vereinbarung“, die im Wesentlichen den Umzug der Oberstufe ab Januar in einen Übergangsstandort vorsieht, sowie den Umzug der gesamten Schule an einen Übergangsstandort in Wilhelmsruh ab dem Schuljahr 2024/25. Wenn das Parlament der Anmietung des ehemaligen Umspannwerkes in der Kopenhagener Straße zustimmt, kann mit dem Auszug der Nutzer das Schulgebäude in der Kniprodstraße saniert werden. Dafür gibt es eine Finanzierungszusage von „voraussichtlich 40 Millionen Euro“.

Demo gesp

Als nach diesem Termin die Abmachungen vor dem Rathaus den wartenden protestierenden Eltern, Lehrern und Schülern bekannt gemacht werden, sind Sekunden später die ersten Routenberechnungen angestellt. Eine halbe bis dreiviertel Stunde, so lange wird wohl für viele Jugendliche der Schulweg dauern, für die meisten eine deutliche Verlängerung. Auf Begeisterung stößt das nicht, spontaner Widerstand – etwa: „das mach ich nicht mit!“ - ist aber nicht zu vernehmen.

Unter den Zuhörern an diesem Tag ist auch Alexander Blischke, eines seiner Kinder besucht die 8. Klasse des Gymnasiums am Europasportpark. „Eine breit aufgestellte Schule, nicht so elitär wie manch anderes Gymnasium“, sagt Blischke, der selbst Lehrer ist, zur Wahl der Oberschule. Vor dem Engagement der Lehrerinnen und Lehrer, erzählt der Pädagoge, habe er größten Respekt.

Trotz der guten Neuigkeiten, die in diesem Moment von Franziska Giffey und Bildungssenatorin Busse verkündet werden, ist Alexander Blischke maximal frustriert: „Dass man für Selbstverständlichkeiten auf die Straße gehen muss, ist ein Skandal“. Damit meint er nicht nur die Zusage, endlich ein völlig heruntergekommenes Gebäude mit einigem Gefahrenpotential zu sanieren. Sondern auch die Tatsache, dass nun endlich ein Minimum an Bestandspflege garantiert wird, wie die „Vereinbarung“ festhält: „von einer vollständigen Grundreinigung, kleineren Reparaturen und einem neuen Farbanstrich in den Eingangsbereichen bis hin zur Fortsetzung der Tischlerarbeiten an den Fenstern.“

Lehrer Blischke und sein Kollegium sind von den Kürzungen der Sanierungsmittel selbst betroffen: Die Temple-Grandin-Schule, eine Auftragsschule für Kinder mit Autismus, die seit 2016 dafür kämpft Gemeinschaftsschule zu werden, sollte eigentlich wegen extremer Platznot in das Gebäude der Georg-Weerth-Schule umziehen. Dafür sollte die Georg-Weerth-Schule mit der Blumen-Grundschule zu einer Gemeinschaftsschule in der Andreasschule fusionieren. Doch dieses Vorhaben steht nicht mehr auf der revidierten Investitionsliste des Landes Berlin und der zum Jahr 2027 geplante Umzug ist somit Geschichte.

Demo 11.11.22

„Diese Mangelverwaltung ist erschreckend, und betrifft ja nicht nur die Gebäude“ – Alexander Blischke hat sich der Initiative „Schule muss anders“ angeschlossen, um sich einzusetzen für Dinge, die im Bildungsbereich zu verbessern sind: mehr pädagogisches Personal, mehr Zeit, Investitionen in die Lehreraus- und -weiterbildung und natürlich - Räume, in denen sich alle gerne aufhalten. Als Lehrervertreter im Bezirksschulbeirat Friedrichshain-Kreuzberg engagiert er sich auch in den schulischen Gremien. Ob das hilft? Lischke ist nur wenig optimistisch: „Die Bildungsverantwortlichen auf Bezirksebene musst du nicht mehr überzeugen, die kennen die Probleme. Wir müssen den Entscheidern der Senatsverwaltung und den Finanzpolitikern im Abgeordnetenhaus klarmachen, dass viel mehr Investitionen in den Bildungsbereich nötig sind. Die haben die Dringlichkeit noch nicht verstanden.“

Für’s erste hat die Finanzverwaltung 40 Millionen Euro bewilligt. Als Ausnahme, für eine einzige Schule. Die Mittel werden „zusätzlich zu allen anderen Investitionsmaßnahmen der Berliner Schulbauoffensive gewährt“. Möglich sind solche Sonderfälle, weil die Finanzverwaltung die Bezirke einerseits zwingt, eine nachvollziehbare Prioritätenliste abzuarbeiten mit der Fokussierung auf machbare Projekte. Damit verbunden ist die Hoffnung, dass alle verfügbaren Mittel verausgabt werden und keine Gelder mehr liegenbleiben.

Außerdem werden Schulsanierungen in der Berliner Schulbauoffensive nachrangig behandelt. Bis 2025/26 steigen die Schulplatzbedarfe in den Grundschulen, an den Oberschulen wird bis 2030/31 mit steigenden Schülerzahlen gerechnet. Maßnahmen, die keine zusätzlichen Plätze schaffen, „müssen zukünftig teilweise gegenüber Sanierungen zurückgestellt werden“. Und: „Sanierungen sind auf die Unerlässlichkeit jedes Sanierungsbestandteils zu prüfen“. So sehen es die Grundsätze der Investitionsplanung der nächsten Jahre vor.

Demo Nov 22

Das sind ungünstige Voraussetzungen für alle, die in ihren kaputten Schulen auf Besserung hoffen. Vor allem Bezirke wie Pankow mit außergewöhnlich stark steigenden Schülerzahlen werden ihre Prioritätensetzung immer wieder rechtfertigen müssen. Steglitz-Zehlendorf mit einem geringeren Bevölkerungswachstum kann dagegen eher durchplanen und durchsanieren.

In der Folge sind weitere Verteilungskämpfe zu erwarten – weil auch die personellen Ressourcen in den Bauämtern nicht ausreichend sind. Für Außenstehende wird dann nicht immer klar ersichtlich sein, warum sich ein Planungs- oder Baubeginn verzögert. Liegt es am Machtwort der Finanzverwaltung? An fehlenden Mitarbeitern im Bezirk? An den Kapazitäten der Bauunternehmen? Fehlerhafter Ausschreibung, schlechter Planung, anderer Pannen? Mitunter tun sich die beteiligten Akteure schwer mit ehrlichen Antworten. Die Berliner Verantwortungsdiffusion macht es leicht, sich hinter anderen zu verstecken.

Das Beispiel des Gymnasiums am Europasportpark macht den „Sonderfall“-Status zu einem erstrebenswerten Ziel. Die Ernst-Reuter-Schule beispielsweise schreibt auf twitter: „Wir nehmen diese Lösung mit großem Interesse zur Kenntnis“.


Quellen / Leseempfehlungen

Sonderfälle bzw. Öffnungsklausel erklärt Anna Klöpper in der taz

Vorrang für die Schaffung von Schulplätzen: Investitionsprogramm 2022 bis 2026, S. 6

Bildung

Bildungspolitik - was Parteien, Organisationen, wissenschaftliche Einrichtungen zum Thema Schule und frühkindliche Bildung sagen.

Schule - Infos, Ideen, Akteure.

Darf das so sein? Warum geht das nicht? Wie ist das geregelt? Unsere Kolumnisten klären Schulrechtsfragen: Schulrechtsanwalt Andreas Jakubietz stellt Fallbeispiele aus seiner beruflichen Praxis vor. Die langjährigen Elternvertreter Constantin Saß und Ruby Mattig-Krone beantworten Elternfragen.

Kita: rund um Kinderbetreuung und frühkindliche Bildung

Kindermedien: Apps und Webseiten für Kinder

Lernorte: Orte zum Lernen und Spaßhaben jenseits der Schule

Kostenlos, werbefrei und unabhängig.
Dein Beitrag ist wichtig, damit das so bleibt.

Unterstütze unsere Arbeit via PayPal.

Newsletter abonnieren

Datenschutzhinweis

Diese Webseite nutzt ein Analyse-Tool, welches dazu genutzt werden kann, anonymisiert Daten über Ihr Verhalten zu sammeln. Datenschutzinformationen

Wählen Sie bitte aus ob für Funktion der Website notwendige Cookies gesetzt werden bzw, ob Sie die Website unter Einbindung externer Komponenten nutzen.