05. Jun 2019
Beteiligung und Transparenz im Schulbau, diese beiden großen Versprechen hat sich die Berliner Politik nach jahrzehntelangem Kaputtsparen und Kleinreden auf die Fahnen geschrieben. Der aktuell vorgelegte Leitfaden zur Partizipation im Schulbau ist ein erster großer Meilenstein. Er beruht auf Freiwilligkeit und dem Prinzip Hoffnung. Das kann gut werden. Muss aber nicht.
Wir erinnern uns: Im vergangenen Jahr stellte die Bildungsverwaltung
die Ergebnisse eines Abstimmungsverfahrens mit rund 70 Beteiligten vor,
das die Grundzüge der Schulen beschrieb, die in den nächsten Jahren in
Berlin zu bauen sind. Unter maßgeblicher Mitwirkung des ehemaligen
Münchner Schulbaurates Rainer Schweppe wurde mehr oder weniger das
Raumkonzept der Neubauschulen der bayerischen Landeshauptstadt
übernommen. „Lern- und Teamhäuser“ sollen entstehen mit einem räumlichen
Funktionsmix auf einer Ebene und einem zentralen Forum, „Compartment“
genannt.
Senatorin Sandra Scheeres bezeichnete den Prozess als
„gelungene Partizipation“, und angesichts der Eile, in der die Stadt in
wenigen Jahren tausende neue Schulplätze schaffen will, ließ man ihr das
durchgehen. Denn zweifellos betritt das Land Berlin auch ohne eine
eigene Idee einer „Berliner Schule der Zukunft“ Neuland. Die neuen
Schulen sind innovativ bis revolutionär, das ist für das wenig
experimentierfreudige staatliche Bildungswesen der Stadt schon Aufregung
genug. Entscheidend würde schließlich sein, da waren sich viele
Beteiligte einig, wie die konkrete Ausgestaltung der
Beteiligungsprozesse am Ende aussieht.
Um es zusammenzufassen: Es sieht gut aus, zumindest auf dem Papier.
Mehr
als ein Jahr hat der Landesbeirat Schulbau gebraucht, um die nun
vorliegenden Leitlinien „Partizipation im Schulbau“ vorzulegen. Schon
die zeitliche Dimension macht deutlich, dass es einen Unterschied macht
ob die Frage „Wollt ihr das?“ lautet oder „Wie wollen wir es machen?“.
Das vorgelegte Ergebnis ist das Versprechen einer „erweiterten
Mitgestaltung“. Zusätzlich zur bereits bestehenden gesetzlich
verankerten Anhörung der schulischen Gremien bei baulichen Maßnahmen,
gibt es nun die (nicht rechtlich bindende) Möglichkeit, an Planungen
mitzuwirken und mitzuentscheiden.
Dabei wird unterschieden zwischen
Schulsanierung, Schulumbau mit und ohne Wettbewerb sowie dem Neubau mit
Wettbewerb. Je nach Fall ist entweder der Bezirk zuständig, die
Bauverwaltung oder die Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE, die einen Teil
der Neubauten und einen Teil der Großsanierungen übernimmt.
Mitglieder des Beirates sind schulische Landesgremien, Lehrervereinigungen, Bezirksvertreter, die Architektenkammer Berlin, das Landesamt für Unfallschutz, die Unfallkasse und der Fachbereich Erziehungswissenschaften der FU. Aus dieser Gruppe hatte sich vor allem der Landeselternausschuss dafür stark gemacht, dass das Prinzip der Lern- und Teamhäuser nicht nur für die neu zu bauenden Schulen angewendet wird, sondern auch für die Schulsanierungen Leitlinie sein soll. Dass sich die Forderung durchgesetzt hat, ist eine kleine Sensation – denn sie ist mit Mehrkosten verbunden. Es ist ein Unterschied, ob Räume nur saniert oder ganze Grundrisse geändert werden sollen. Und die Idee der sozialräumlichen Vernetzung kann mehr Raum für Schauspiel und Musik oder neue Flächen für das Sportprofil bedeuten. Möglicherweise besteht der Wunsch nach einer Bibliothek oder einer Werkstatt; mit entsprechenden Kooperationspartnern an Bord, einem guten Konzept in der Tasche und einem positiven Votum des Bezirks müsste den Wünschen der Schulgemeinschaften entsprochen werden.
„Regelmäßige Gäste“ des Beirats sind vier Organisationen, die alle bereits viele Jahre Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Schulen mitbringen. „Grün macht Schule“ berät seit 30 Jahren Berliner Schulen bei der Gestaltung von Schulhöfen, schulischen Sportflächen und Schulgärten, immer unter Einbeziehung von Schülern und Eltern. Die Freudenberg Stiftung hat, beginnend mit dem „Campus Rütli“, die Idee der sozialräumlichen Vernetzung der Schule in Berlin etabliert. Das Architekturbüro „Die Baupiloten“ hat ein Spiel entwickelt, mit dessen Hilfe die Beteiligten die Vision ihrer perfekten Schule entwickeln können. Die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft ist die Instanz in Deutschland, wenn es darum geht, innovative und nachhaltige Gebäude für modernen Unterricht auf den Weg zu bringen. Mit eigenen Schulbauberatern organisiert die Stiftung Beteiligungsprozesse und dokumentiert die Ergebnisse, damit andere von ihnen lernen können.
Wenn also Herrmann Budde, Vorsitzender des Beirates, die Qualität der Prozesse als zentrales Anliegen des Gremiums beschreibt, geht das maßgeblich auf die Erfahrungen dieser Experten zurück. Aus diesem Qualitätsanspruch heraus hat der Beirat konkrete Beteiligungsschritte entwickelt: Die professionell moderierte „Phase Null“, in der die Ideen für den späteren Planungsprozess festgehalten werden. Ein „Anwalt“ bzw. eine „Anwältin“ aus der Schulgemeinschaft soll in der folgenden Planungsphase die Interessen der Schule vertreten und kommunikative Schnittstelle sein. Im Falle eines Architektenwettbewerbes soll der Anwalt als Sachverständiger Teil des Preisgerichtsverfahrens sein. Bei Neubauschulen ohne Schulgemeinschaft kann ein Mitglied des Bezirksschulbeirates als Anwalt fungieren.
Das alles ist neu, modern und zukunftsweisend. Hat aber einen Haken: Alles kann, nix muss. Das Wesen der Beteiligung ist die Freiwilligkeit. Jeder hat das Recht, sich nicht zu interessieren, sein ehrenamtliches Engagement anderweitig einzusetzen oder die Prioritäten in Beruf und Familie zu legen. Es kann also – theoretisch - sein, dass es Schulen gibt, an deren Um- und Neugestaltung sich nur wenige beteiligen. Oder, was wahrscheinlicher ist, es beteiligen sich nur einzelne Gruppen: nur Eltern, nur Lehrer, keine Kinder.
Eine weitere Begleiterscheinung von Partizipation: die Leute machen was sie wollen. Ein Beteiligungsverfahren kann also ein Ergebnis bringen, das nicht so ganz im Sinne des Erfinders liegt. So bereits geschehen in Steglitz-Zehlendorf: Die Grundschule an der Bäke war eine der drei Modellschulen zur Erprobung des neuen Partizipationsverfahrens. „Das Lern- und Teamhauskonzept lehnen wir ab“ sagte Schulleiterin Irina Wißmann ausgerechnet in einer Pressekonferenz, in der die Bildungsverwaltung der Öffentlichkeit die Neuerungen vorstellte. In der Schulgemeinschaft gebe es zuallererst den dringenden Wunsch nach Ruhe. Eine eher kleinteilige räumliche Ordnung mit Ruheräumen ist das Ziel und ganz besonders die Trennung von Unterrichts- und Horträumen. Ganz old school also. So beschloss es eine Gruppe aus Lehrern, Erziehern, Schülern und Eltern.
Die daraus entstehende Vielfalt kann man begrüßen. Wer eine bestimmte Qualität sichern möchte, muss dagegen Standards setzen. Also einen Rahmen vorgeben, in deren Grenzen sich Schulen bewegen können. Der Beirat hat ebenso wie die Bildungsverwaltung darauf verzichtet, und die Reaktionen von Senatorin Scheeres und auch des Beiratsvorsitzenden Budde machten deutlich: das ist nicht optimal. Reichlich ungeschickt referierte die Senatorin noch einmal die Grundzüge des Lernhausprinzips und hielt dabei vor der versammelten Presse der Schulleiterin vor, das Konzept nicht verstanden zu haben.
Es wäre keine sonderlich gewagte Prognose, würde man davon ausgehen, dass die Ablehnung des Lernhausmodells eher die Regel als die Ausnahme würde. Die Gründe dafür liegen in der prekären Notlage, in der sich viele Berliner Schulen befinden und die ihre Ursachen in der Sparpolitik der vergangenen Jahrzehnte haben. Die Bäke-Schule ist dafür ein trauriges Beispiel.
Im Herbst vergangenen Jahres sperrte der Bezirk kurzfristig die sogenannten MUR (mobile Unterrichtsräume), wegen Zweifeln an der Statik dieser Provisorien aus den 70er Jahren. In den heruntergekommenen Gebäuden war der Hort untergebracht, der jetzt notdürftig in das Haupthaus „integriert“ wurde, konkret: die Hortbetreuung findet seitdem in den Klassenräumen statt. Von einer „physischen und psychischen Zumutung“ für alle Beteiligten sprachen erboste Eltern in einem Brief an den Bezirk. Weiter heißt es darin: „Wir wissen nicht, ob und wann es zum Umbau oder Neubau der baulich maroden Schule kommt, wir kämpfen seit mehr als einem Jahr für die Reparatur der gesperrten Spielgeräte auf dem Schulhof und nun soll auch noch die Arbeit der Schulstation, des sozialpädagogischen Dienstes an der Schule, reduziert werden. Und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem nicht zuletzt infolge der beengten Situation in der Hortbetreuung erhebliche Spannungen zwischen den Schülern und die vermehrte Eskalation von Konflikten festzustellen sind.“ Kurze Zeit später berichtete der Tagesspiegel über einen Gewaltvorfall an der Schule.
Der Brief der Eltern ist vom Februar 2019, zu dieser Zeit lief parallel das Partizipationsverfahren zum Schulumbau. Es kann nicht verwundern, dass angesichts einer dramatisch zugespitzten Unterrichts- und Betreuungssituation die Schulgemeinschaft sich gegen pädagogische Neuerungen ausspricht. Denn es geht dabei nicht nur um bauliche Veränderungen, sondern um ein neues pädagogisches Arbeiten: weniger Frontalunterricht, vielfältigere Möglichkeiten zum individuellen Lernen, Arbeit im Team. Horträume sind in den neuen Lernhäusern nicht vorgesehen. Das verlangt nach einer schulischen Entwicklungsstrategie und einem gut durchdachten Ganztagskonzept. Überlasteten Pädagogen in zu engen und kaputten Räumen kann man nicht verübeln, wenn sie es nicht schaffen, hierzu kreative Gedanken zu entwickeln.
Die Bäkeschule ist kein Einzelfall, der Zustand der Berliner Schulgebäude ist teilweise atemberaubend schlecht. Wenn das einmal nicht das Hauptproblem ist, gibt es andere Baustellen: Personalmangel, Einarbeitung von Quereinsteigern, Inklusion, Platzmangel und zusätzlich die Notwendigkeit mehr Schüler aufnehmen zu müssen sowie in der Regel zu kleine Schulmensen und zusätzlich das kommende kostenlose Schulessen. Abwehrhaltungen gegen Neuerungen, die Engagement und Mitdenken erfordern und am Ende sogar Veränderung bedeuten, sind flächendeckend zu erwarten.
An anderer Stelle könnten fehlende Richtlinien dafür sorgen, dass entscheidende Stimmen ungehört bleiben: die der Schülerinnen und Schüler. Die (vorgeschobenen) Gründe, Kinder und Jugendliche nicht nach ihrer Meinung zu fragen, könnten lauten: zu klein (Grundschule), zu schwierig (Sekundarschulen), zu anstrengend (Förderzentren), nur temporär anwesend (Berufsschulen). Wer nicht einfordert, dass junge Menschen proaktiv aufgesucht werden, riskiert, dass Gymnasien einen SV-Raum haben und im Idealfall Schüler sich mit ihrer Forderung nach flächendeckendem W-Lan durchgesetzt haben. Alle anderen müssen sich mit dem arrangieren was Erwachsene sich für sie ausgedacht haben.
Das Prinzip Hoffnung braucht vor allem bei der sozialräumlichen Vernetzung eine engagierte Stadtgesellschaft. Diese muss sehr schnell verstehen, dass sie überhaupt gefragt ist. Vereine, Stadtteilzentren, Nachbarschaften, Musikschulen, Theatergruppen, Bibliotheken, (Jugend-)Kunstschulen – sie alle könnten das Lernhaus zu einem Teil ihres Quartiers machen, den sie selbst nutzen könnten. Die Schulen wiederum würden von deren Angeboten profitieren. Alle gemeinsam lernen voneinander, das ist die Vision.
Je nach dem wer da alles aufschlägt, könnte es teuer werden. Skeptiker argwöhnen, die Einladungen zu den Beteiligungsverfahren könnten deshalb, ganz aus Versehen, unterwegs verlorengehen. Oder jemand steigt in der Otto-Braun-Straße auf’s Dach, flüstert den Standort einer neuen Schule in den Wind, wartet bis die Baugenehmigung erteilt ist, um dann das Ende des Partizipationsprozesses offiziell zu verkünden.
Eine Organisation, die dem Braten nicht so recht traut, ist die „Arbeitsgemeinschaft Schulbibliotheken Berlin-Brandenburg e.V.“. Und das hat einen Grund. Die Arbeitsgruppe Schulraumqualität hatte 2017 die räumlichen Bedarfe der Lern- und Teamhäuser definiert, zu denen auch eine Schulbibliothek gehörte. Zu einer modernen Schule, befanden die Fachleute, gehört eine eigenständige räumliche Einheit, in der Kinder und Erwachsene Zugriff haben auf moderne, aktuelle und zeitgemäße analoge und digitale Medien. Eine Bibliothek, die geführt wird von einer fachlich kompetenten Person, die Schülern und Pädagogen den Weg weist in analoge und digitale Archive, geeignete Plattformen und immer auf der Höhe der Zeit, wenn es um den neuesten heißen Scheiß rund um Lernen und Lehren geht. Und ja, eine Person, die auch Bescheid weiß, wenn es um das neueste Online-Game, die angesagteste Netflix-Serie, den besten Arthouse-Film und fancy YouTuber geht.
Die Schulbibliothek ist heute nur noch eine Option. Kann, aber muss nicht sein. Kann gerne wegfallen? Diesen Eindruck hat zumindest der Verband, der sich als Anwalt versteht für rund 500 Schulbibliotheken in Berlin. Nach Angaben des Verbandes mit derzeit 111 Mitgliedern haben 60% aller Berliner Schulen eine Bibliothek – getragen von „Ehrenamtlichen, Bufdis, Honorarkräften sowie Teilnehmern wechselnder, vom Jobcenter aufgelegter Maßnahmen“, wie Vorständin Ute Heller erklärt. Heller zitiert den Koalitionsvertrag von R2G: „Bestand und Betrieb von Schulbibliotheken werden durch ausreichende Finanzierung und ein tragbares Personalkonzept abgesichert und erweitert sowie die Einrichtung einer gemeinsamen IT-Lösung gefördert.“ Bisher habe sich hier nichts getan, im Gegenteil: drohende Kürzungen im Erzieherbereich gefährdeten auch die Arbeit der Bibliotheken, da hier auch Erzieher mit medienpädagogischer Ausbildung tätig seien.
Stefanie Remlinger, Grüne Abgeordnete mit den Schwerpunkten Haushalt und Bildung, ruft auf zum zivilgesellschaftlichen Engagement. Ohne Druck keine Bibliothek, ohne Beteiligung keine weiteren „Add-ons“, die das schulische Leben bereichern und erweitern.
Zuständig für die Beteiligungsprozesse ist in der Bildungsverwaltung Andreas Bossmann. „Wir werden frühzeitig informieren“, verspricht er. Seine Kontaktdaten finden sich in der Infobroschüre.
Fragen dazu? Einfach mal anrufen.
Zur Broschüre "Partizipation im Schulbau" (pdf)
Alle Infos zum Schulbau in Berlin www.berlin.de/schulbau
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