Raumprogramm „optimiert“: Gutachten stutzt Schulbau-Ideen

29. Jan 2018

Daniela von Treuenfels
Raumprogramm „optimiert“: Gutachten stutzt Schulbau-Ideen

Partizipation ist das neue Zauberwort, wenn es um Schulsanierung und Schulbau in Berlin geht. Eine Arbeitsgruppe Schulraumqualität hat in einem bisher nie dagewesenen Beteiligungsverfahren ein Konzept für die Berliner Schule der Zukunft entworfen. Ein Gutachten einer Consultingfirma hat im Auftrag des Senats jetzt das Konzept der Lern-und Teamhäuser untersucht und den Flächenbedarf „optimiert“.

Gerade erst konnte der Landesschülerausschuss einen schönen Erfolg feiern. Nach einigen Jahren Drängen gab die Bildungsverwaltung nach und lud die wesentlichen Akteure ein, dem Wunsch der Schülerinnen und Schüler zu entsprechen, Politik zum regulären Schulfach zu machen. Es gab eine muntere Diskussion, Austausch von Argumenten und Statements, beste Staatsbürgerkunde überhaupt. Am Ende gab es eine Pressekonferenz mit den zwei Botschaften: Es gibt eine Note mehr auf dem Zeugnis. Und: wir haben das mit der Beteiligung verstanden.

Der Landesschülerausschuss hat sich bei der Erarbeitung der Ideen für die neuen Berliner Schulen für einen Raum für die Schülerzeitung und die Schülervertretung ausgesprochen. Die Arbeitsgruppe Schulraumqualität hat den Wunsch aufgenommen, die Idee ist nun Teil des Konzepts. Bisher gibt es in der Schule keinen Raum für Schülerengagement. Der einzige Platz, wo die Kinder und Jugendlichen unter sich sein können und ein Schild „bitte nicht stören“ respektiert wird, ist: die Schultoilette.

Im Gutachten der im Auftrag des Senats handelnden Firma aim Architektur Consulting muss die Wertschätzung von Engagement der Schüler Federn lassen. Mit der lapidaren Bemerkung „Treffen so erforderlich in Stammgruppenbereich“ wischen die Berater das Anliegen zumindest für die Grundschule in Gänze vom Tisch. In den Oberschulen dezimiert sich die gewünschte Fläche von 35 auf 15 Quadratmeter, für größere Gruppen definitiv zu klein.

Der Auftrag des Unternehmens: die Raumprogramme „optimieren“, sprich Flächen zu reduzieren. Die Architekten stellen fest, dass die neuen Compartments, wie die neuen Lernbereiche genannt werden, „nur zum kleineren Teil zur Flächenmehrung“ beitragen. Dafür entdecken sie in den anderen Flächen Einsparpotential. Bei den Grundschulen insgesamt 590 Quadratmeter, bei der ISS 558 qm und bei der Gemeinschaftsschule 962 qm. Daraus ergeben sich Einsparungen von 1,9 Mio Euro (GS) und 3,9 Mio Euro (ISS); bei der Gemeinschaftsschule können nach dem Gutachten sogar 7,2 Mio Euro gespart werden.

So werden beispielsweise Nutzungen wie Ergotherapie und Logopädie zusammengelegt, aus zwei Räumen wird einer. Ruheraum: gestrichen. Garderobe: reduziert. Verwaltung: wird kleiner. Lehrerarbeitsplätze: weniger. Lernmitteldepot: Verlagerung in die Stammgruppen.

Kurios erscheinen die Streichungen in der Grundschule: die Mensa wird zunächst kleiner, um dann wieder durch den „Mehrzweckbereich“ ergänzt zu werden. Insgesamt bleibt die Fläche gleich. Außerdem müssen die Kleinen auf ihren Ruheraum verzichten. Schade, wo doch einige Grundschulen gute Erfahrungen mit ihren Snoezelen-Zimmern gemacht hatten.

Manche der Vorschläge mögen sinnvoll sein, einige werden Protest hervorrufen. Diese Diskussion wollte man sich offensichtlich ersparen. Das Gutachten war bereits Teil der parlamentarischen Beratungen, von der Öffentlichkeit unbemerkt vom Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses zur Kenntnis genommen. Und das in der Vorweihnachtszeit, in der andere sich fragten, wann denn endlich der neue Landesbeirat Schulbau startet. Der ist nun offenbar dazu verdammt, die Dinge als gegeben hinzunehmen. Die Zahlen sollen schließlich Grundlage sein für das neue Musterraumprogramm als Planungsgrundlage für Architekten und Basis für Mittelzuweisungen. Da möglichst schnell gebaut werden soll, ist kaum Zeit für eine Debatte.

Die Berliner Beratungsfirma aim hat ansonsten mit Schulbau keine Erfahrung. „Wir beraten Ihr Unternehmen als Bauherr, Nutzer, Entwickler, Investor oder Planer einer Büroimmobilie. Als Generalisten mit langjähriger Erfahrung im Betrieb, Planen und Realisieren von Büroimmobilien und gewerkeübergreifender Expertise koordinieren wir für Sie die Schnittstelle zwischen Nutzung, Planung und Bereitstellung von Bürogebäuden.“, heißt es auf der Webseite. Außerdem sehr treffend: „Die Nutzung bestimmt den Wert einer Immobilie“.

Ausgerechnet auf diese Expertise haben die auftraggebenden Verwaltungen verzichtet. „Eine Erweiterung der Schule mit zusätzlichen Flächen für ein Stadtteilzentrum für die sozialräumliche Öffnung soll zunächst nicht untersucht werden“, heißt es in dem Gutachten. Dabei liegen im Höchstmaß an Flexibilität und Nachhaltigkeit die Grundlagen für Synergien, Umnutzungen oder anderweitige Verwertungen.

Klug geplante Schulen könnten gesellschaftlichen und auch finanziellen Gewinn bringen. Monofunktionale Gebäude, die abends, an Wochenenden und in den Ferien ungenutzt bleiben, sind nicht mehr zeitgemäß, schon gar nicht in einer wachsenden und immer dichter werdenden Stadt. Sozialräumliche Nutzung ist gewinnbringend für das soziale Miteinander im Quartier – mit dem schönen Nebeneffekt von Mieterträgen. Repräsentative Räumlichkeiten in Innenstadtlagen könnten dem Land sogar nicht unerhebliche Einnahmen bescheren – die müsste man allerdings wollen, planen und hochwertig bauen. Über diese Mehrkosten müsste jetzt beraten und entschieden werden.

Weil keiner weiß, wie Unterricht in 50 Jahren sein wird, und auch keiner absehen kann ob die Gebäude dann noch als Schulen genutzt werden, müssten sie so gebaut werden, dass jederzeit Wände oder sogar Zwischendecken entfernt oder eingezogen werden können. Das erfordert eine andere Statik und den Einsatz hochwertiger Materialien. Diese Standards, die ebenfalls mit höheren Kosten verbunden wären, müssten jetzt definiert werden.

Dem neu gegründeten Landesbeirat Schulbau stehen spannende Zeiten bevor. Im Interesse aller sind ihm Ideen für zukunftsfähige Schulgebäude sehr zu wünschen.

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