Magazin „Schule in Berlin“

08. Dez 2022

Daniela von Treuenfels
Magazin „Schule in Berlin“

Ein Heft mit Seltenheitswert: „Schule in Berlin“ macht neugierig auf das Berliner Bildungswesen. Wir empfehlen die Lektüre sehr – allerdings mit einer Einschränkung.

„Wie lernen wir am besten?“ ist der Untertitel des 100seitigen Magazins aus dem Tip-Verlag. Der Fokus ist klug gewählt, bildet er doch die Klammer um Grundstufe bis Oberstufe, um Schularten und Schulformen, um formale Bildung und außerschulische Lernorte – alles Themen dieser Ausgabe.

Der Bildungsjournalist Bent Freiwald stellt in seinem Essay über „Die vier Säulen des guten Lernens“ wesentliche Erkenntnisse der Neurowissenschaft vor. Die Hirnforschung beschäftigt sich mit der Funktionsweise von Nervensystemen und sucht Antworten auf die Frage, wie wir denken, wie wir Emotionen verarbeiten oder wie wir Neues lernen.

„Wer heute Lehrerin oder Lehrer wird“, so Freiwald, „kann nach der Ausbildung im Klassenraum stehen, ohne sich mit einer Frage auseinandergesetzt zu haben: Warum Lernen gelingt. Man kann in Deutschland also Lehrkraft werden, ohne die Mechanik des Lernens zu verstehen.“

Und Freiwald erzählt von Synapsen und Informationsverarbeitung, von Dopamin und N400-Signalen, dass es nur so raucht – aber so anschaulich, dass alle es verstehen können: Die wichtigste Aufgabe von Lehrern ist es, den Fokus auf Dinge zu lenken, die wichtig sind (Aufmerksamkeit). Über- oder Unterforderung stört den Lernprozess (Neugier). Fehlermachen bedeutet Lernen (Fehlerkultur). Für die Festigung des Gelernten ist Üben ebenso wichtig wie Schlafen (Konsolidierung).

Der Journalist, der hier wissenschaftliche Evidenz anmahnt, gehört zum Team des Online-Magazins „Krautreporter“. Zuletzt erregte die Redaktion im Zusammenhang mit einer gemeinsamen Recherche des ZDF Magazin Royale zu Waldorfschulen große Aufmerksamkeit. Das Ergebnis: „ Das System Waldorf kann es gewalttätigen Lehrkräften offenbar erleichtern, unentdeckt zu bleiben. Waldorf-Ausbilder und -Lehrer haben Kontakte in die Corona-Leugner-Szene. Kritische Journalist:innen werden öffentlich eingeschüchtert und notfalls verklagt.“

Umso überraschender ist es, dass auf Freiwalds Aufforderung zu wissenschaftsbasiertem Unterricht eine seltsam unkritische Lobpreisung der „warmen Waldorf-Welt“ folgt. Die Journalistin Regine Bruckmann erwähnt die Kritik am Steiner-Konzept nur am Rande. Zu Wort kommen ausschließlich begeisterte Eltern, die dem staatlichen System dankbar entflohen sind und dafür Schrulligkeiten in Kauf nehmen.

Man lerne „nicht nur mit dem Gehirn, sondern auch mit den Händen“, wird ein Verbandsvertreter zitiert. Der Satz steht dort, als wolle er sich über Bent Freiwald und die Neurowissenschaften lustig machen. Die Redaktion macht sich diese Aussage in einer Bildunterschrift zu eigen.

Am Ende führt die Autorin noch einen Kronzeugen an, der es dank der Waldorf-Pädagogik vom Legastheniker zum literaturinteressierten Richter gebracht habe. Dass Johannes Bruckmann ihr Neffe ist, bestätigt uns auf Anfrage der verantwortliche Redakteur Friedhelm Teicke.

Einmal kurz schütteln, und – unbedingt – weiterlesen. Besonders erwähnenswert ist die Erfolgsgeschichte zweier Schulen, die von einer Beinahe-Schließung zum nachgefragten Gymnasium wurden bzw. auf dem Weg von der mutlosen Brennpunktschule zum Hoffnungsträger mit einem leidenschaftlichen Kollegium sind. Besonders am Beispiel Robert-Blum-Schule lässt sich beobachten, welche Kraft Elternengagement entfalten kann.

Horst Evers erzählt gewohnt amüsant von seiner Zeit als Nachhilfelehrer in Fohnau, wo Hilfe gesucht wurde: „Mathe, Physik, Bio, Chemie, Englisch Geschichte und noch weitere Fächer. Wörtlich so. Ich fand mich qualifiziert.“

Herausragend ist insgesamt der Stellenwert, der den Schülerinnen und Schülern beigemessen wird. Eine Fotoserie erzählt auf sechs Seiten fröhlich-(platz)verschwenderisch mit ganzseitigen Bildern die Metamorphose vom Erstklässler bis zum Abiturienten anhand der Schultaschen. „Ranzenjahre“ trifft die jeweiligen Lebensabschnitte vom Ergobag über den Schulrucksack bis zum Jutebeutel auf den Punkt.

Kinder und Jugendliche kommen in kurzen Statements zu Wort. Mit zunehmendem Alter lässt sich eine ungute Entwicklung verfolgen, die jeder kennt, der eigene Kinder während ihrer Schulzeit begleitet hat: Die Lernmotivation lässt deutlich nach.

Bent Freiwald kann erklären woran das liegt. Die Neugier ist in Jahren der mangelnden Unterstützung auf der Strecke geblieben.

Das muss ja nicht so bleiben. Denn das Berliner Bildungswesen hat nun unsere Aufmerksamkeit.

Schule in Berlin

Tip-Verlag

100 Seiten

10,90 Euro im Zeitschriftenhandel

Schule in Berlin Inhaltsverzeichnis

Bildung

Bildungspolitik - was Parteien, Organisationen, wissenschaftliche Einrichtungen zum Thema Schule und frühkindliche Bildung sagen.

Schule - Infos, Ideen, Akteure.

Darf das so sein? Warum geht das nicht? Wie ist das geregelt? Unsere Kolumnisten klären Schulrechtsfragen: Schulrechtsanwalt Andreas Jakubietz stellt Fallbeispiele aus seiner beruflichen Praxis vor. Die langjährigen Elternvertreter Constantin Saß und Ruby Mattig-Krone beantworten Elternfragen.

Kita: rund um Kinderbetreuung und frühkindliche Bildung

Kindermedien: Apps und Webseiten für Kinder

Lernorte: Orte zum Lernen und Spaßhaben jenseits der Schule

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