BER: Netzwerk-Denken statt “Brockhaus-Lernen”

07. Jul 2020

Daniela von Treuenfels
BER: Netzwerk-Denken statt “Brockhaus-Lernen”

Zweifel an der "Sinnhaftigkeit des Bildungsföderalismus" und die Aufforderung, "Denken und Handeln in Hierarchien und unsere Zertifikatsgläubigkeit zu überdenken". Der Bundeselternrat macht in einer Resolution vom Juli 2020 das ganz große Fass auf.

Verbunden wird der Wunsch nach einem grundsätzlichen bildungspolitischen Wandel mit konkreten Forderungen für einen modernen und pandemietauglichen Unterricht. Wir dokumentieren den Appell an die politisch Verantwortlichen im Wortlaut:

Durch das rasante Tempo des technischen Fortschritts verändert sich unsere Gesellschaft in ungeahnter Weise. Vermittlung von Fachwissen tritt in den Hintergrund, das Begreifen von Zusammenhängen und das Erlernen von Kompetenzen gewinnt an Bedeutung.

Auf seiner Juli-Tagung beschäftigte sich der Bundeselternrat hinsichtlich dieses schnellen Wandels mit den Fragen:

Kann Schule als tragende Bildungseinrichtung unseren Kindern die Grundlagen vermitteln, die sie benötigen, um sich in dieser beständig wandelnden Welt zurechtzufinden?
Sind unsere Bildungseinrichtungen und alle an Bildung Beteiligten diesbezüglich gerüstet? Personell, sächlich, räumlich, infrastrukturell und auf Nachhaltigkeit ausgerichtet?
Welche Grundlagen, welches Wissen, welche Fähigkeiten sind in Zukunft wichtig?
Wie bereiten sich die einzelnen Bundesländer vor? Gibt es einen zukunftsfähigen „Fahrplan“?

Die Corona-Krise hat deutlich gezeigt, welche anhaltenden Herausforderungen im Bildungsbereich vorhanden sind. Es gab zahlreiche kreative Beispiele, wie Fernbeschulung gut funktionieren kann. Diese gelungenen Beispiele sollten weiterentwickelt werden und bundesweit Einzug in die Schulen finden.

Das Ziel muss weiterhin eine hohe Bildungsqualität in humanistischer und demokratischer Tradition sowie eine umfassende Allgemeinbildung sein. Ebenso wichtig ist der ganzheitliche Blick auf die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Lernenden. Neben einer breiten Allgemeinbildung ist es unerlässlich, dass Heranwachsende Kompetenzen in den Feldern der fächerübergreifenden Demokratiebildung und nachhaltiger Entwicklung, kulturell-ästhetische Bildung und Medienkompetenz erwerben.

Die Art und Weise, wie Wissen vermittelt wird, ist den kommenden Herausforderungen anzupassen. Künftiges Lernen und der Erwerb von Wissen bedeuten vom Denken im „Brockhaus-System“ wegzukommen und stattdessen in Netzwerken zu denken. Lernen in Netzwerkstrukturen kann nur gelingen, wenn dies in kleinen Lerngruppen und in entsprechenden Räumen statt im Klassenverband und Frontalunterricht stattfindet.

Wichtig für eine Bildung der Zukunft ist auch, dass nicht die Notengebung, sondern ein Kompetenzerwerb im Fokus steht, der sich auch ausdrücken muss in praktischen Anwendungen.
Es wird immer wichtiger zu erkennen, welche Quellen und digitalen Räume – auch im Umgang mit persönlichen Daten – zuverlässig und sicher sind. Dies gilt besonders für das Lernen mit Medienunterstützung und für Digitales Lernen.

Auch bei der digitalen Handlungskompetenz, die stark durch informellen Kompetenzerwerb geprägt ist, zeigt sich eine Schräglage. Ursache sind die ungleichen Bildungschancen, bedingt durch zum Beispiel soziale Herkunft, Geschlecht und Migrationshintergrund. Es ist die Aufgabe von Schule, an dieser Stelle Chancengleichheit herzustellen. Eine große Herausforderung ist die Änderung der Kommunikation bei digitalem Lernen. Die Ausdrucksweise in sozialen Medien muss achtsam sein (Stichwort Cybermobbing).

Das Aufgabenfeld der Lehrenden und des pädagogischen Personals wird ergänzt hin zum Coach und Wegbegleiter. Er begleitet die Heranwachsenden bei Meinungsbildung, Haltung und Konfliktfähigkeit. Auch in Zukunft wird Schule primär der Ort sein, an dem Kinder und Jugendliche einen wesentlichen Teil ihrer Bildung und Sozialisation erhalten.

Inputs aus der Wissenschaft, z.B. von den Referenten Prof. Scheithauer und Prof. Weinberg, untermauern die Signifikanz unserer Forderungen.

Der Bundeselternrat fordert darüber hinaus:

♦ Die Verzahnung von formalem und non formalem Lernen und dessen Anerkennung im schulischen Bildungskontext.
♦ Die Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern, um das kollaborativ-kreative, selbstorganisierte Lernen zu befördern.
♦ Die Rhythmisierung von qualitativ hochwertigem Hybrid-Unterricht und freiere Zeiteinteilung für z.B. Abitur im eigenen Takt oder Sabbaticals.
♦ Eine transparente Kommunikation zwischen Schule und Familie über methodische und organisatorische Anforderungen sowie die Voraussetzungen für das schulisch angeleitete Lernen zu Hause.
♦ Die bedarfsgerechte Ausstattung der Lernenden und Lehrenden mit digitalen Endgeräten, Lizenzen, datenschutzkonformen Plattformen und WLAN-Zugängen und die zügige Umsetzung des auf Bundesebene beschlossenen Breitbandausbaus.
♦ Strukturelle Vorkehrungen, wie z.B. eine Positivliste auf den Seiten der Kultus- und Bildungsministerien mit datenschutzkonformen Plattformen, Messenger-Diensten und E-Mail-Anbietern für Lernende, Lehrende und Eltern.
♦ Verbindlicher länderfinanzierter Einsatz von externen IT-Experten (z.B. Systemadministratoren) an den Schulen.
♦ Die verbindliche Aus-, Fort- und Weiterbildung der Lehrenden im Sinne einer zukunftsfähigen Schule.
♦ Die Erarbeitung altersgerechter didaktischer Konzepte zur Implementierung digitaler Unterrichtsformen und Methoden unter Berücksichtigung der motorischen Entwicklung der Lernenden.
♦ Eine kontinuierliche wissenschaftliche Evaluierung der oben erwähnten Konzepte hinsichtlich ihrer Wirksamkeit.
♦ Prävention, auch zum Thema Cybermobbing, als Herausforderung aller Schulformen erkennen und nachhaltig angehen durch Elternmitwirkung, curriculare Unterrichtsinhalte, Schulprogramme und Einbindung von Experten.
♦ Die Elternpartizipation muss in den Schulgesetzen aller Bundesländer verankert, Fortbildungsangebote für Eltern eingerichtet und die Kompetenz der Eltern genutzt werden.
♦ Eltern sollen Eltern in Bildungseinrichtungen vertreten, solange sie dort Kinder haben. Eltern und Schule haben einen gemeinsamen Erziehungs- und Bildungsauftrag. Dieser kann nicht mit Eintritt der Volljährigkeit abrupt enden.

Um die Anpassungen in der gebotenen Geschwindigkeit durchzuführen, ist die länderübergreifende Zusammenarbeit Voraussetzung.
Zudem ist unser Denken und Handeln in Hierarchien und unsere Zertifikatsgläubigkeit zu überdenken.
Auch ist die Sinnhaftigkeit des Bildungsföderalismus - in Umfang und Inhalt - unbedingt zu hinterfragen.

Die Resolution wurde am 05.07.2020 in Potsdam im Rahmen der kleinen Frühjahrsplenartagung von den Delegierten des Bundeselternrats einstimmig verabschiedet.

https://www.bundeselternrat.de/de/home.html

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