Diskussion um "Privatisierung" der Schulbauoffensive in Berlin

27. Nov 2018

Daniela von Treuenfels

Nervensägen und Bremsklötze? Oder Stimme der Vernunft bei der Vorbereitung der größten Investition in den Berliner Schulbau seit Jahrzehnten? Die Volksinitiative „Unsere Schulen“ hat fast 30.000 Unterschriften gesammelt und damit eine Anhörung im Parlament erzwungen. Jetzt ziehen die Aktivisten sogar vor das Berliner Verfassungsgericht. Währenddessen scheint der Blick für das große Ganze verloren zu gehen.

Das ging schnell: Keine 12 Stunden nachdem die Volksinitiative „Unsere Schulen“ im Abgeordnetenhaus ihre Bedenken zur geplanten Beteiligung der Wohnungsbausgesellschaft Howoge gegen die Berliner „Schulbauoffensive“ vorgetragen hatte, wischte der Bildungsausschuss die Einwände mit einem Federstrich beiseite. Ein 100seitiges Dokument hatten Vertreter der Initiative am Vortag Mitgliedern des Hauptausschusses und des Schulausschusses vorgelegt. Über Nacht dürften die Abgeordneten das Papier kaum eingehend studiert haben. Dennoch heißt es im gemeinsamen Antrag der Koalitionsfraktionen SPD, Linke und Grüne, wohl aufgrund der Eile, etwas holprig: „Der Ausschuss stellt fest, dass mit den durch den Senat beschlossenen Maßnahmen zur Schulbauoffensive ihre Ziele am besten erreichen können.“

Umgehend, pauschal, mit großer Entschiedenheit und mit demonstrativ fest geschlossenen Reihen, so wehrt der Senat seit Monaten die Zweifel an der Sinnhaftigkeit der geplanten Beteiligung der Howoge an den Schulbaumaßnahmen des Landes Berlin ab. Eine Privatisierung, wie von der Volksinitiative „Unsere Schulen“ behauptet, finde nicht statt.

Der Senat plant, rund die Hälfte der insgesamt 60 Neubauschulen und etwa die Hälfte der insgesamt 21 Großsanierungen gemeinsam mit der Howoge zu realisieren. Die Gesellschaft soll dabei nicht nur Dienstleister sein und die öffentlichen Verwaltungen entlasten. Der Hauptgedanke ist vielmehr, dass die Howoge Kredite aufnehmen kann, die der Landesregierung aufgrund der Regelung zur sogenannten Schuldenbremse ab 2020 nicht mehr möglich sind.

Die Howoge ist ein öffentliches Unternehmen, sie gehört zu 100 Prozent dem Land Berlin. Als GmbH ist sie privatrechtlich organisiert, was in der Theorie bedeutet, dass die Gesellschaft unter Verweis auf das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis nicht umfassend über ihre Tätigkeit Auskunft geben muss. Praktisch jedoch hat das Parlament umfängliche Auskunftsrechte. So hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt in einem Urteil vom November 2017 betont, dass „alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter der demokratischen Legitimation“ bedarf. „Es muss sich auf den Willen des Volkes zurückführen lassen und ihm gegenüber verantwortet werden. Ein solcher demokratischer Legitimationszusammenhang ist auch dann erforderlich, wenn sich der Staat bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben eines – vollständig oder mehrheitlich – in staatlicher Hand befindlichen Unternehmens in Privatrechtsform bedient. Die Mitglieder des Vertretungsorgans eines privatrechtlichen Unternehmens, an dem der Staat mehrheitlich beteiligt ist, unterliegen hinsichtlich ihrer Unternehmensführung besonderer Beobachtung der öffentlichen Hand, denn diese hat dem Volk gegenüber auch eine Mehrheitsbeteiligung an einem privatrechtlichen Unternehmen zu verantworten. Es ist Aufgabe des Parlaments, die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Regierung auch hinsichtlich der Betätigung der öffentlichen Hand im Rahmen ihrer Beteiligung an privatwirtschaftlichen Unternehmen zu kontrollieren.“

Weil die Howoge die Aufgabe hat Bauvorhaben abzuwickeln, ist auch von entscheidender Bedeutung, dass die Abgeordneten das Recht haben, über die Auftragsvergabe an Unternehmen Informationen zu verlangen, wie es ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages bestätigt : „Die Tatsache einer Beauftragung stellt kein Betriebs- und Geschäftsgeheimnis dar. Auch bei der Auflistung von Auftragssummen ist ebenfalls nicht ohne weiteres von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen auszugehen, da ein Unternehmen damit rechnen muss, dass die Auftragserteilung durch die öffentliche Hand Gegenstand parlamentarischer Kontrolle wird.“

Alles paletti also? Es gibt nicht viele Leute, die in der Kooperation der öffentlichen Verwaltung und einem öffentlichen Unternehmen eine Privatisierung erkennen. Und die wenigen, die sich dafür interessieren, wissen: Letztendlich ist alles eine Frage der Details.

Hierzu gibt es viele Fragen, die teilweise ungeklärt sind. Aufgrund schlechter Erfahrungen in der Vergangenheit ist für die Volksinitiative der „Einredeverzicht“ gegenüber den Banken zentral. In den 70ern baute die Wohnungsbaugesellschaft Degewo Schulen für das Land Berlin, in einer ähnlichen Situation: schlechte Planung, viele Kinder, zu wenig Schulplätze. Alles musste schnell gehen, die Wohnungsbaugesellschaft wurde ins Boot geholt, um insgesamt 15 Schulzentren zu errichten. Die Qualität der Gebäude war teilweise so schlecht, dass sie abgerissen werden mussten . Das Land zahlte trotzdem weiter „Miete“, also die monatlichen Tilgungsraten an die Banken. Dieselbe Konstruktion wählt das Land nun wieder. Die Volksinitiative warnt vor diesem Risiko, und auch in den Bezirken, die eigentlich für die Schulgebäude zuständig sind, gibt es Fragen zu den Zuständigkeiten im Falle der Mängelbearbeitung.

Je mehr Informationen zur Verfügung stehen, desto länger wird bei der Volksinitiative die Liste der Zweifel und Kritikpunkte. 100 Seiten umfasste die Stellungnahme , die die Ehrenamtlichen zur Anhörung im Abgeordnetenhaus vorlegten. Sie bezweifeln darin grundsätzlich die Notwendigkeit der geplanten Konstruktion, das Geld sei im Haushalt vorhanden. Es entstünden Mehrkosten durch höhere Zinsen, Bereitstellungskosten und Baunebenkosten für Berater und Notare. Allein für diese drei Posten rechnet die Initiative mit fast 400 Millionen Euro.

Ob diese Zahlen tatsächlich belastbar sind, müsste sich erst zeigen. Interessant ist jedoch, dass die festen Reihen der Koalitionsfraktionen bröckeln, zumindest die Grüne Parteibasis folgt der Argumentation der Initiative in diesem Punkt. Am 24. November beschloss der Grüne Landesparteitag: „Unser Ziel ist es, Schulbau und Schulsanierung aus Haushaltsmitteln zu finanzieren. Wir wollen die HOWOGE als Baudienstleister nutzen. Kreditfinanzierung wollen wir, anders als in bisherigen Modellen vorgesehen, vermeiden. Die Vorteile liegen auf der Hand: Für die öffentliche Hand würden weder Zinsen noch Übertragungskosten fällig werden. Und sowohl die HOWOGE als auch die Bezirke wären in ihrer Finanzplanung um einiges flexibler, als wenn sie sich über viele Jahre durch Erbbaurechte und ein Mieter-Vermieter-Modell gegenseitig verpflichten würden .“

Ein weiteres großes Thema ist die Transparenz. Auch wenn das Parlament, wie beschrieben, umfassende Auskunftsrechte hat, so beziehen sich diese immer nur auf vergangene Sachverhalte. Das heißt, eine Einmischung in das operative Geschäft der Howoge ist nicht möglich. Die Gesellschaft wird kontrolliert durch einen achtköpfigen Aufsichtsrat, und der ist an Weisungen nicht gebunden.

In der Praxis bedeutet das Beinfreiheit für das Management des Unternehmens. Im Vergleich zur öffentlichen Verwaltung können in einer privatrechtlichen GmbH Personalstellen wesentlich schneller besetzt und höhere Gehälter bezahlt werden. Das Unternehmen ist auch flexibler im Einsatz seiner Mittel. Das Fehlen der politischen Steuerung, die von der Volksinitiative kritisiert wird, hat einen entscheidenden Vorteil: Gerade im Schulbau, wo die Nähe zu politischen Parteien oder die Zugehörigkeit zu informellen Netzwerken nicht selten eine Rolle spielt, ist ein Akteur, der nach rein sachlichen Kriterien entscheidet, ein Fortschritt. Bei Elterngremien jedenfalls, die sich stark mit Schulbau und –sanierung beschäftigen, stehen ideologisch motivierte Entscheidungen schon länger in der Kritik.

In der Diskussion um die Beteiligung der Howoge an den Schulsanierungen wird aus dem Parlament immer wieder beteuert, man werde sich „volle Transparenz sichern“, von „Knebelung“ ist gar die Rede. Dass Howoge-Geschäftsführerin Stefanie Frensch just nach den ersten Kooperationsverhandlungen ihren Wechsel in ein anderes Unternehmen ankündigt, kann bedeuten, dass die Beteiligten noch keinen praktikablen einvernehmlichen Weg gefunden haben.

„Volle Transparenz“ bedeutet im Verhältnis von Parlament und Verwaltung, dass die Abgeordneten das Recht haben, zu jeder Zeit und zu jedem Thema jede Verwaltung um Auskunft zu bitten zu den Themen, die sie interessieren und die sie für relevant halten. Zur Ausschöpfung des Fragerechts ist die schriftliche Anfrage ein beliebtes und eifrig genutztes Mittel. Für Abgeordnete sind Anfragen auch ein Beweis für ihr Engagement, und eine hohe Zahl von Anfragen gilt als Zeichen von Tatkraft und Qualität. Hinter vorgehaltener Hand klagen Verwaltungsmitarbeiter jedoch über Politiker, die ihre parlamentarischen Rechte über die Maßen nutzen.

Die Howoge hat derzeit rund 680 Mitarbeiter. Zusätzlich wurde ein eigener Bereich Schulbau aufgebaut, der mit bereits elf Mitarbeitern arbeitet, wie Sprecherin Sabine Pentrop mitteilt. Der Bereich soll im Jahr 2019 auf 15-18 Mitarbeiter aufgestockt werden. Daneben gibt es die in diesem Jahr zugekaufte Kramer + Kramer Bau- und Projektmanagement GmbH, die als eigenständige Tochtergesellschaft im HOWOGE-Konzern weiter besteht und sowohl die Wohnungs- als auch die Schulbauaktivitäten der Howoge unterstützt.
Personell ist also der Bereich Schulbau innerhalb der Wohnungsbaugesellschaft eher schmal aufgestellt. Die parlamentarischen Standards könnten da zur Belastung werden. Der Entwurf des Rahmenvertrags zwischen Senat und Howoge lässt in seiner Allgemeinheit vieles zu und alles offen: „Die HOWOGE ermöglicht dem Senat die Sicherstellung der Wahrnehmung der Informations- und Auskunftsrechte der Abgeordneten nach Art. 45 Verfassung von Berlin, indem sie die erforderlichen den Schulbau betreffenden Akten und Unterlagen zur Verfügung stellt und Auskünfte erteilt.“ Die Diskussion um die konkrete Ausgestaltung steht aus.

Transparenz ist kein Selbstzweck. Im besten Fall dient sie nicht nur der Information, sondern ist eine Einladung zum Mitdenken und Mitgestalten. Wer mit der Howoge arbeiten will, ob mit Kreditaufnahme oder ohne, muss sich also die Struktur der Gesellschaft ansehen und ihre Drehtür in die Öffentlichkeit. Die entscheidende Stelle ist der Aufsichtsrat. Er berät und kontrolliert die Gesellschaft. Das wirklich kuriose ist: Das Gremium taucht in der Diskussion um Offenlegung und Beteiligung überhaupt nicht auf.

Weder der Senat, noch das Parlament, noch die Volksinitiative „Unsere Schulen“ hat dieses machtvolle Organ auf dem Schirm. Dabei ist es naheliegend, dass der Wohnungsbaugesellschaft, die bisher noch nie eine Schule saniert oder errichtet hat, Expertise in Sachen Schulbau gut täte. Ein zusätzliches Mitglied des Aufsichtsrates, das nicht nur Planungskompetenz mitbrächte, sondern auch wüsste wie Partizipationsprozesse gelingen, könnte ein Gewinn für den Aufsichtsrat sein. Die Person könnte Ansprechpartner für den Bildungsausschuss des Abgeordnetenhauses sein und für den von der Bildungsverwaltung eingesetzten Schulbaubeirat.

„Daran haben wir tatsächlich noch nicht gedacht“, sagt ein Mitglied des Gremiums ein wenig erstaunt. Dem Beirat gehören 32 Menschen an, darunter Eltern, Lehrer, Schüler und Verwaltungsleute. Zum Ende des Jahres wollen sie eine gemeinsam erarbeitete Handreichung veröffentlichen, die Grundsätze zu den Partizipationsverfahren im Berliner Schulbau enthalten soll.

Fast sieht es so aus, als würden die vielen Menschen, die sich viele kluge Gedanken machen darüber, wie die Berliner Schulbauten in die Zukunft katapultiert werden könnten, sich gegenseitig aus den Augen verlieren.

Die Volksinitiative hat angekündigt, vor das Berliner Verfassungsgericht zu ziehen. Die Aktivisten sind der Meinung, eine zweite Anhörung sei notwendig, weil beim ersten Mal nicht alle verfügbaren Informationen vollständig vorgelegen hätten. Konkret geht es um den Rahmenvertrag der Howoge mit dem Land Berlin. Möglicherweise bringt ein weiterer Anlauf noch mehr Bedenkenswertes und begründete Zweifel.

Doch das Band, das alles Gute und Kluge zum Schulbau in Berlin zusammenführt, muss erst noch geflochten werden.

Informationen zur Berliner Schulbauoffensive:

Senatsfinanzverwaltung www.berlin.de/sen/finanzen/haushalt/schulbauoffensive

Senat Berlin www.berlin.de/schulbau

Volksinitiative „Unsere Schulen“ www.gemeingut.org/unsereschule-aktion

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